Seit dem 8. Juni 1998 arbeite ich über eine Arbeitsagentur bei Casema in Delft in der Betreuung von Internet-Kunden. Mein Ziel ist es jedoch, meinem Land zu dienen. Bei meiner Bewerbung auf eine Stelle als Marineoffizier beglückwünschen mich die Militärpsychologen zu meiner umfassenden Arbeits- und Lebenserfahrung, lehnen mich jedoch ab, da sie meinen Charakter als „zu stark, um gebrochen zu werden“ bewerten.
Anfang Juli fangen zwei weitere Aushilfskräfte einer konkurrierenden Arbeitsagentur in meiner Abteilung bei Casema an. Beide stehen in direktem Zusammenhang mit dem Militär:
Monika (34) verrät allen, dass sie neben ihrer befristeten Arbeitsstelle für den niederländischen Militärgeheimdienst MID arbeitet. Sie beschwert sich offen über den MID und kritisiert besonders die Unterdrückung eines berüchtigten fotografischen Films, der das Versagen der niederländischen Friedenstruppen in der bosnischen Stadt Srebrenica im Jahr 1995 zeigt. Monika fordert mich auf, diesem Skandal zu folgen. Laut ihr sind einige Militärangehörige fest entschlossen, die Veröffentlichung der Fotos zu verhindern. Dennoch sind sie und ihr Vorgesetzter, ein unerschrockener Marineoberst, gegen diese Vertuschung – eine bewundernswerte Haltung.
Ina (mittleren Alters) ist etwas distanzierter. Nach einem Versprecher über ihren Ehemann reagiert sie ängstlich, wenn ich mich nach seinem Namen und Militärdienst erkundige. Ina schweigt. Doch eines Tages unterhält sie sich mit Monika über die Liebe ihres Lebens und nennt ihn „mein Ad“. Außerdem höre ich, wie Ina einmal einen Anruf mit „Van Baal“ anstelle ihres Mädchennamens entgegennimmt und sich dann ausgiebig entschuldigt.
Am 8. Juli teilt mir meine Vorgesetzte mit, dass ihre Mitarbeiterkarte abhandengekommen ist. Sie kann es kaum glauben, vermutet jedoch, dass Ina die Karte gestohlen hat.
Ein paar Tage später, als Monika nicht da ist, wird ihr ungewöhnlicher Job angesprochen. Im Scherz sage ich: „Sie ist eine Spionin!“ Obwohl das nur als Witz über Monika gedacht ist, versteinert Ina, als wäre sie diejenige, die entlarvt wurde. Da ich Ina nun misstraue, beschließe ich, mich einmal an sie heranzuschleichen, während sie an ihrem Schreibtisch sitzt. Ich schaue über ihre Schulter und sehe, wie Ina sich Notizen über Monikas Bemerkungen über den Srebrenica-Film macht. Ich bin total verblüfft.
Während unserer ersten gemeinsamen Pause am 14. Juli spreche ich mit Monika über unsere Karrieren, und sie bietet mir eine Stelle als Analytiker beim MID an. Ich würde damit beauftragt, Berichte für Einsätze unserer Streitkräfte zu schreiben. Monika ist sich sicher, dass ich die verschiedenen Konflikte sehr gut beschreiben kann.
Am nächsten Tag werden Monika und ich von Blitzlichtern erschreckt. Ina ist gerade zur Toilette gegangen, als ein Eindringling Fotos von uns an unseren Schreibtischen macht. Der Spion flieht daraufhin in einem Auto, das von einem Komplizen gefahren wird. Alle sind schockiert – die Polizei wird gerufen. Da der Alarm nicht aktiviert wurde, muss der Eindringling beim Betreten unseres Gebäudes eine Mitarbeiterkarte verwendet haben. Aber warum? Auf unserer Etage werden keine Unternehmensgeheimnisse aufbewahrt. Und warum ist das Nummernschild des Fluchtwagens nirgendwo registriert?
Ich beende meine befristete Arbeitsstelle – Monikas und Inas Arbeitsagentur ist billiger – und beginne eine Beziehung mit Jasper (21), einem ehemaligen Kollegen. Er erzählt mir, dass Monika sich während ihrer Arbeit bei Casema über die Entlassung ihres Geheimdienstvorgesetzten durch den MID-Direktor weinend beklagt und das Militär verlassen wird.
Besorgt über die Intrigen schreibe ich an den niederländischen Bürgerbeauftragten, der seinerseits den Verteidigungsminister um Klärung der Ereignisse bittet. Anschließend wird ein MID-Bericht veröffentlicht, in dem Monika bestätigt, dass sie versucht hat, mich für den MID anzuwerben. Sie behauptet jedoch auch, dass ich „völlig verrückt“ sei und wegen „Fehlverhaltens“ bei Casema entlassen wurde. Man fragt sich nun, wer ist hier verrückt? Tatsache ist jedoch, dass sowohl meine Arbeitsagentur als auch Casema mir ein Empfehlungsschreiben hinsichtlich meiner Beschäftigungszeit ausstellt.
Unterdessen erklärt ein hochrangiger Beamter des niederländischen Geheimdienstes BVD die Intrigen durch einen gemeinsamen Freund:
Während ich mich bei der Marineinfanterie bewarb, wurde mein Hintergrund überprüft und meine Vergangenheit als Callboy aufgedeckt. Die Psychologen mussten mich aus diesem Grund ablehnen und einen legalen Ausweg finden. Daher die surreale Rechtfertigung meiner Ablehnung. Trotzdem wurde meine Arbeits- und Le- benserfahrung vom Geheimdienst als nützlich erachtet. Nach dem BVD, der mich 1992 gebeten hatte, Diplomaten sexuell zu befriedi- gen, hielt es nun auch der MID für angebracht, mich anzusprechen.
Monika wurde daraufhin bei Casema eingesetzt, um mich anzuwerben. Dies war jedoch in erster Linie ein Trick, um sie selbst in die Falle zu locken; es wäre leichter gewesen, mich einfach anzurufen. Ina wurde eingeschleust und damit beauftragt, Monika zu beobachten, da Zweifel an deren Leistung als Geheimagentin aufgetreten waren.
Ina hatte überhaupt keine Erfahrung als Spionin. Ihr hochrangiger Armee-Ehemann, der für die Intrige verantwortlich war, beauftragte sie jedoch mit diesem Job. Mit dem Diebstahl der Zugangskarte für den Einbruch und ihren Notizen über Monikas Verrat von Staatsgeheimnissen stellte Ina sich jedoch sehr schnell bloß. Trotzdem war die Familienoperation erfolgreich. Inas Notizen und die Fotos des Eindringlings, die Monikas umstrittene Einschleusung belegten, wurden dazu verwendet, Monika und ihren Vorgesetzten zum Ausstieg aus dem MID zu zwingen. Die interne Opposition gegen die Vertuschung von Srebrenica wurde kaltgestellt, und Monika vermutete, dass ich sie betrogen hatte.
Im Juni 1999 zeige ich den vom Verteidigungsminister herausgegebenen falschen MID-Bericht beim Generalstaatsanwalt an. Der MID-Direktor und sein Stellvertreter werden nur zwei Wochen später vom Minister entlassen. Trotzdem veröffentlicht der nationale Bürgerbeauftragte die ministerielle Verleumdung in seiner Online-Bewertung des Falls, ohne sie jemals überprüft zu haben. Er ignoriert die von mir vorgelegten Beweise und lässt es so aussehen, als ob keine Intrigen stattgefunden hätten.
Abgesehen davon wird mit weiteren Störungsmaßnahmen versucht, mich zum Schweigen zu bringen: Monika hatte Jasper befohlen, mich nicht mehr zu sehen – Jasper verfasste diesbezüglich zwei Zeugenaussagen, die den MID in Verlegenheit brachten. Ein Beispiel für einen noch beunruhigenderen Trick ist eine Einladung nach Paris. Der BVD-Beamte warnt mich, dass der französische Militärgeheimdienst DGSE auf Geheiß des MID vorhat, mich hinter Gitter zu bringen. Man plant, mir während meiner Zugfahrt internationalen Drogenhandel anzuhängen.
Nichts davon wird richtig untersucht, auch nicht nachdem auf meine Bitte hin Ihre Majestät Königin Beatrix eingeschaltet wird. Mein BVD-Kontakt erklärt mir, dass das nationale Interesse vor meinem den Vorrang hat.
Da ihn die hohen Tiere der Armee weiterhin hintergehen, beschließt der Verteidigungsminister im April 2002 sein Amt niederzulegen. Als Nächstes tritt die gesamte Regierung wegen des Völkermords in Srebrenica zurück. Der Befehlshaber des königlich-niederländischen Heers, General Ad van Baal, räumt ebenfalls das Feld. Er erscheint auf der Titelseite einer nationalen Tageszeitung mit dem Spitznamen „Der Cover-up-General“. An seiner Seite ist seine liebende Ehefrau mit einem mir bekannten verängstigten Gesicht: Es ist Ina.
Ein Jahr später wird Van Baal still rehabilitiert und zum Generalinspektor der niederländischen Streitkräfte ernannt. Da ich mich schon lange frage, welcher Charakter einen General ausmacht, fordere ich Van Baal in seinem neuen Job heraus: Er soll den Skandal aufklären, der mit dem Befehl zum Diebstahl der Mitarbeiterkarte meiner Vorgesetzten begann und mit der Mundtotmachung von Kritikern der Unterschlagung von Fotos endete. Fotos, die durch seine Truppen gemacht wurden und den bevorstehenden Völkermord von Srebrenica beweisen. Van Baal reagiert – wie damals in Srebrenica –, indem er sich seiner Verantwortung entzieht. Er verweist mich an den Verteidigungsminister, dessen späterer Nachfolgerin ich im März 2014 eine Vorabkopie von Der Cover-up-General schicke.
Mein Fazit: Die Unterschlagung von Beweisen für Kriegsverbrechen verletzt nicht nur die internationale Rechtsordnung, sondern auch die nationale Rechtsstaatlichkeit der Niederlande. Die Streitkräfte forderten mich auf, Geheimdienstberichte zur Beschreibung von Konfliktparteien zu schreiben. Zu Ihren Diensten: Ich erfülle hiermit diese Bitte im nationalen Interesse!
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Im Juli 2015 unterbreiten die Mütter von Srebrenica das Buch als eine von vielen ihre Milliarden-Euro-Klage gegen den niederländischen Staat unterstützenden Zeugnisse, die die Auffassung belegen, dass die niederländische Armee eine Mitverantwortung am Völkermord ihrer Ehemänner und Söhne trägt und dies beweisende Fotos vertuscht hat.
Einen Monat später behauptet Van Baal, ohne Beweise für seine Anschuldigung vorzulegen, dass Der Cover-up-General teilweise auf Fantasie basiert. Es wird auch keinerlei Beweis erbracht, als Monika mich wegen Verleumdung verklagt. Dennoch verbietet eine Richterin das Buch, obwohl sie zugibt, es nicht vollständig gelesen zu haben, und erteilt mir ein Redeverbot. Es wird mir unter Androhung einer Geldstrafe von bis zu 100.000 Euro verboten, über diese Angelegenheit und damit auch einen Teil meines eigenen Lebens zu sprechen.
Unbeeindruckt gehe ich gegen dieses Urteil der Zensur in die Berufung. Mit Dutzenden von weiteren Unterlagen gewinne ich den Fall in allen Punkten. Das Berufungsgericht in Den Haag entscheidet, dass es keine Zweifel über die Richtigkeit des Buches gibt, und bekräftigt dessen Bedeutung für die öffentliche Debatte über Srebrenica. Da eine umfangreiche öffentliche Aufmerksamkeit oft einen Schutz für Informanten bedeutet, begrüße ich, dass jetzt über diesen Sieg für die Pressefreiheit weltweit berichtet wird.
Der Cover-up-General wird im September 2016 erneut veröffentlicht – diesmal mit neuen Kapiteln über mein Bestreben nach Wahrheit und Gerechtigkeit. Eine dritte aktualisierte Auflage flogt im April 2022 und eine englische Ausgabe im April 2024.
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Aus rechtlichen Gründen wird der fiktive Name Monika für die Rekrutierungsagentin verwendet, und zum Schutz meines früheren Liebhabers habe ich ihn hier Jasper genannt.